Während eines Seminars auf dem Stoos, umgeben von der kraftvollen Natur des Muotathals, kam einer pilgererfahrenen Mitarbeiterin die Idee: „Warum pilgern wir in der Diakonie Bethanien nicht durch die Schweiz?“ Sofort fanden sich die ersten Begeisterten, und das Bethanien-Pilgern war geboren.
Die Initiantin ist unsere Leiterin der Diakoniegemeinschaft, Monika Zolliker. Ihr macht in Sachen Pilgern niemand etwas vor. In ihren Pilgerausweisen sind Stempel von überall zu bestaunen. Sie marschierte durch Frankreich und Spanien bis nach Santiago de Compostela. Ihre Erzählungen von den vielen prägenden Begegnungen und dem inneren Kampf, wenn der Kopf nicht mehr weiterwill, beeindrucken und inspirieren. Pilgern ist mehr als nur eine körperliche Aktivität; es kann eine Reise zu sich selbst werden.
Vier Gründe, warum Pilgern auf Ihre Bucket List gehört:
- Selbsterkenntnis und persönliches Wachstum Der Jakobsweg bietet Raum für spirituelle Erfahrungen. Die Stille und die regelmässigen Schritte ermöglichen es, tief in sich hineinzuhorchen und Antworten auf wichtige Lebensfragen zu finden. Pilgern bietet eine einzigartige Gelegenheit, sich selbst besser kennenzulernen und persönlich zu wachsen.
- Abenteuer und Gemeinschaft Pilgern in der Gruppe stärkt den Teamgeist und bietet die Möglichkeit, neue Freundschaften zu schliessen und bestehende zu vertiefen. Man entdeckt unbekannte Orte und erlebt die Welt aus einer anderen Perspektive. Diese Erfahrungen bereichern das Leben und Schaffen wertvolle Erinnerungen.
- Gesundheit und Entspannung Pilgern ist eine hervorragende Möglichkeit, die eigene körperliche Fitness zu verbessern. Beim Gehen stellt sich ein wohltuender Rhythmus ein, es stärkt das Herz-Kreislauf-System, die Muskulatur und die Ausdauer. Der Kopf wird frei und der Alltag tritt in den Hintergrund. Eine wahre Auszeit für Körper und Geist.
- Die Schweiz ganz nebenbei entdecken Das Pilgern bringt einen an Orte, die vielleicht sonst nie auf einem Reiseplan gestanden hätten. Es ist diese besondere Mischung aus der Entdeckung neuer Orte aber auch des Geniessens bekannter atemberaubender Landschaften. Pilgern eröffnet eine neue Perspektive auf die Schönheit der Schweiz.
Pilgern auf dem Jakobsweg
Pilgern hilft, den Kopf „auszulüften“, Schritt für Schritt voranzugehen und sich im wortwörtlichen Sinn neu zu „erden“. Es ist einfach: Rucksack packen, Route wählen, los!
Der Jakobsweg hat schon im Mittelalter Menschen aller Nationalitäten durch ganz Europa in Bewegung gebracht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Suche nach Antworten, Dankbarkeit, Heilung, Vergebung oder einfach die Freude an der Bewegung und der Natur. Doch der Jakobsweg ist auch eine Einladung zur inneren Einkehr. Wer schweigend pilgert, spürt bald, dass dieser Weg ihn auch in sein Inneres führt. Es ist wie ein „Beten mit den Füssen“. Der äussere Weg ist klar, und die Pilgernden können sich auf sich selbst und ihren inneren Weg konzentrieren.
Wo beginnt der Jakobsweg?
Der Jakobsweg hat eigentlich nur ein Ziel – Santiago de Compostela. Doch beginnen kann er für jeden vor der eigenen Haustüre. Für uns startete er 2022 in Zürich-Altstetten, beim Hauptsitz der Diakonie Bethanien, und wir knüpfen immer dort an, wo wir das letzte Mal aufgehört haben. Unsere Reise führte uns bereits vom Rheinfall über Winterthur zum Schloss Kyburg und nach Bubikon. Ende Mai dieses Jahres pilgerten wir zum dritten Mal gemeinsam durch die Schweiz.
Tag eins
Gut ausgerüstet trafen wir uns am Freitag, den 31. Mai, am Bahnhof Bubikon. Die Wetterprognosen liessen wenig sommerliche Gefühle aufkommen: nieselig, kalt und windig. Zum Glück hatte Monika Zolliker diesmal ohnehin kürzere Etappen geplant, denn Erholung, Genuss und Gemeinschaft standen im Vordergrund.
Trotz des ungemütlichen Wetters war die Stimmung hervorragend. Ponchos, Rucksackschutzhüllen und wasserabweisende Gamaschen wurden angelegt – Vorbereitung ist alles! 😜 Mit voller Vorfreude machten wir uns auf den Weg Richtung Egelsee. In einem kleinen Weiler lud ein kleines, gedecktes Garagencafé zur Rast ein. Monika Zolliker nutzte diesen Moment, um uns einen ersten Impuls mit auf den Weg zu geben: „Ich bin getragen – ich lasse mich tragen.“ Immer wieder durften wir während der nächsten drei Tage ihren schönen Worten lauschen und daraus Kraft und Inspiration schöpfen.
Schweigend wanderten wir weiter durch die Hügel- und Moorlandschaften des Zürcher Oberlandes. Die vor Urzeiten vom Linthgletscher geformte Umgebung bot die perfekte Kulisse, um beim stillen Gehen über den erhaltenen Impuls nachzudenken. Auf dem Weg nach Rapperswil wählten wir den Höhenweg, der uns vorbei an perfekt getrimmten Rasenflächen, prächtigen Villen und einem freien (leider immer noch eher nasstrüben) Blick über den See in Richtung Jona führte. Stets bergab näherten wir uns unserem ersten Übernachtungsziel, Rapperswil. Doch zuerst kehrten wir in der Schüür in Jona ein und gönnten uns einen warmen Tee. Danach erwartete uns die pittoreske Altstadt von Rapperswil und eine wunderschöne Pilgerherberge. Mit Freude schlüpften wir aus den nassen Sachen. Die Schuhe wurden mit Zeitungen ausgestopft, die Regenjacken zum Trocknen aufgehängt. Gemeinsam spazierten wir später zu einer Pizzeria und liessen den Tag bei guten Gesprächen ausklingen.
Tag zwei
Monika Zolliker hatte es am Vorabend angekündigt: Das „Filetstück“ unserer Pilgerwanderung stand bevor: die längste Holzbrücke der Schweiz von Rapperswil nach Pfäffikon. Umgeben von plötzlicher Stille, wirkte dieser malerische Holzsteg wie ein Bindeglied zwischen zwei Welten. Gelassenheit einatmen, Stress und Anspannung ausatmen – ein perfekter Start in den Tag.
Der Weg schlängelte sich weiter durch Hurden, ein Dorf, in dem der Charme der Ferienhäuser und die Ruhe der Seehäuser verschmelzen. Bevor wir nach den „holen Gassen“ steil hinaufwanderten, lud Monika Zolliker uns zu einem Tagesimpuls ein: „Kommt her zu mir, die ihr belastet seid.“ Mit diesem Vers aus dem Matthäusevangelium fragte sie uns, ob wir oft die Lasten anderer tragen oder ob wir auch selbst getragen werden? In stillen Gedanken marschierten wir hintereinander aufwärts.
Es war nun endlich trocken, jedoch suchte sich das viele Wasser, das gestern vom Himmel kam, eigene Wege, um zurück ins Tal zu fliessen und verwandelte den Weg in einen kleinen Amazonas. Auf dem Gipfel des Hügels ist Luegeten. Dort beginnt der Aufstieg zum St. Meinrad, der mit atemberaubenden Ausblicken über Rapperswil und auf die beiden Inseln Ufenau und Lützelau im Zürichsee belohnt wird.
Die flachen Wurzeln der Buchen im Wald sahen aus wie Tintenfische, die ihre Arme über den Boden schlängelten. Dieser Aufstieg hatte etwas Magisches an sich. Durch die Feuchtigkeit in der Luft wurde es langsam warm. Unser heutiges Ziel, das Gasthaus St. Meinrad war bereits zu sehen. Ein letzter Kraftakt, und es war geschafft – der Jakobsweg eroberte den Etzel Pass.
Wir übernachteten im liebevoll renovierten Gasthaus St. Meinrad, das auch über ein hervorragendes Restaurant verfügt. Am nächsten Morgen brachte uns Herr Leschhorn, der Geschäftsführer, persönlich frische Gipfel von Einsiedel mit. Mit einem leckeren Birchermüesli, den Gipfelis und frischem Kaffee starteten wir gestärkt in den dritten Tag.
Tag drei
Nach dem Frühstück trafen wir uns in der Kapelle und sangen zusammen einige Lieder. Der vorbereitete Impuls für den Abstieg vom Pass passte perfekt: „Von der Freiheit, neue Wege zu gehen.“
Während des Abstiegs vom Etzelpass wurde uns wieder einmal bewusst, wie schön die Schweiz ist! Die Landschaft um uns herum schien einem Postkartenmotiv entsprungen zu sein. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir die „Tüfelsbrugg“, unter der die Sihl in Richtung Sihlsee fliesst. Der Jakobsweg überquert hier diese wunderschöne Steinbrücke mit hölzernem Dach aus dem Jahr 1700. Sie wurde erbaut, um Steine aus dem Steinbruch Etzel nach Einsiedeln für den Bau des neuen Klosters zu transportieren. Die Überquerung der Brücke war ein wichtiger Meilenstein für die Pilgernden auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela. An dieser geschichtsträchtigen Stelle wurde im Jahr 1493 auch Paracelsus geboren – ein Ort voller Inspiration.
Bald zeichnete sich die Silhouette des Sihlsees am Horizont ab, und wir machten ein letztes Mal eine kurze Pause vor Einsiedeln. Wir setzten uns an einen Ort namens Galgenchappeli. Hier erinnert ein Denkmal an drei Bauern, die 1766 während lokaler Aufstände als Helden dem Schwert des Henkers zum Opfer fielen.
Von hier aus ging es gemütlich weiter bis nach Einsiedeln. Auch wenn wir alle schon einmal in Einsiedeln gewesen waren, fühlte es sich anders an, pilgernd hierhin zu kommen, im Wissen, dass jedes Jahr mehr als 500.000 Pilgernde aus der ganzen Welt ehrfurchtsvoll hier Halt machen. Passend dazu erscheint mir dieses anonyme Sprichwort: „Der Weg gibt dir nicht, was du willst, sondern was du brauchst.“
Nächstes Jahr werden wir den höchsten Punkt des Jakobsweges nördlich der Pyrenäen passieren – die Haggenegg, die uns nach Schwyz führen wird.